TON.ERDE.LEHM
Eine Artist in Residence im Rahmen des Projekts KULMaterie – Die Sprache der Materialien
Veranstalter: Kulturverein K.U.L.M, Pischelsdorf Steiermark
Materialien sind die Grundlage für Arbeiten der bildenden Kunst, die über das Konzeptuelle hinausgehen sollen. Lange Zeit wurde das Material lediglich als Mittel zum Zweck gesehen, als Vehikel um einer Idee eine Form zu geben. Es galt an sich als roh, amorph oder je nach Kontext auch hässlich oder weiblich, jedenfalls als niedrig in der Bewertung. Eine „Immaterialisierung“ war bzw. ist bis heute ein entscheidendes Kriterium, ob das betreffende Objekt als Kunst angesehen wird oder nicht.
Dieser Perspektivenwechsel in den Geisteswissenschaften mag auch mit der Zunahme von digitalen Wirklichkeiten zu tun haben. In einer Zeit, in der sich vieles in digitalen Welten abspielt, kommt es zu einer Blickwinkel-Änderung hin zu Sinnlichem, Materiellem.
Erde wird gebraucht, um auf den Grund zu weisen, als das Einfache, das Schöpferische, jedem Verständliche. (…) Sie ist unsere Existenz.
Rolf Iseli
Ton.Erde.Lehm beschäftigt den Menschen von Anbeginn, denn nichts anderes stand ihm von Anbeginn an zur Verfügung.
Prometheus, der Urheber der menschlichen Zivilisation, formte den ersten Menschen aus Lehm und stattete ihn mit Eigenschaften aus. Auf seine Bitte hin hauchte Pallas Athene der Menschheit Wissen und Weisheit ein.
Adam und Eva waren das erste Menschenpaar und gelten als Stammeltern aller Menschen. Adam wurde aus dem Staub der Erde (hebräisch: adamah – Ackerboden) gemacht, danach wurde ihm der Lebensatem eingehaucht. Adam gab den Tieren Namen, fand aber kein partnerschaftliches Gegenüber. Darauf ließ Gott Adam in einen tiefen Schlaf fallen, entnahm ihm eine Rippe und schuf aus dieser sein Gegenüber Eva („Die Belebte“).
Im Talmud wird Adam aus Schlamm geknetet und im Islam ist es dunkler glatter Lehm. „Diese Substanz war es, von der Gott die Form von Adam gegossen hat. Sein seelenloser Körper wurde zum Trocknen stehen gelassen, und er wurde zu dem, was im Qur´an als klingender Lehm bezeichnet wird. Adam wurde von etwas Ähnlichem wie der Ton beim Töpfern geschaffen.“ (islamreligion.com)
In vielen religiösen Legenden und Schöpfungsmythen wird der Mensch aus Lehm geschaffen, einem Material, das der Zusammensetzung der Erdoberfläche entspricht. Nach dem Gleichnis des göttlichen Töpfers aus der Bibel konnte Gott den Menschen nach seinem Belieben zur Wohl- oder Missgestalt formen.
Das bedeutet wohl, dass Ton der Grund und Boden ist, aus dem etwas Seelisches entsteht oder geschaffen wird. Durch den Akt des Formens und Knetens, des Streichens und Drückens und den Akt der Liebe zum gestalterischen Ausdruck entsteht Lebendes.
Dessen ist jeder Mensch fähig und kann somit zum Gestalter seines eigenen Lebensteppichs werden.
Die Artist in Residence diente einer Recherche, denn all diese Bilder und archaischen Symbole haben das Gedankengut und den Blick des Menschen tief geprägt. Durch Gleichnisse und prophetische Bilder werden wir in den tiefen Schichten unserer Seele berührt, sie sind in unserem Körper gespeichert, sowie auch unsere ganz persönliche Geschichte in unserer Lebensbewegung ihren Niederschlag findet. Damit kommen wir zurück auf den Ton, an den Ursprung.
Eine Fläche aus feuchtem Ton wurde auf dem Boden auf einer Unterlage aufgebracht. Sie hatte eine Größe von 2 x 2m und war sechs Tage lang Aktionsfläche, in der Ton und Körper aktiv miteinander agierten und reagierten. Verwandlung und Transformation waren hier Schlüsselwörter.
Der Körper kreiert Bilder auf dem Ton, eine bestimmte Atmosphäre schaffend, die bei der nächsten Bewegung wieder verschwinden und sich in Ton transformieren, bereit für die folgende Spur.
Das Medium Ton lässt alles zu. Es ist drückbar, schiebbar, man kann herausarbeiten und hineinbohren. Der Körper wird dabei zum Verbündeten im Akt des Erzählens, er berührt und wird berührt, er wälzt sich, springt oder steht still und sinkt ein. Ich arbeitete allein und mit Menschen, die es auch versuchen wollten. Genug Ton stand zur Verfügung um zu bauen und zu experimentieren, was besonders für Kinder sehr anziehend war.
Am Ende eines jeden Arbeitstages wurde der Tonteppich befeuchtet und zugedeckt, um ein Austrocknen zu verhindern. Eine Kamera stand bereit, um den Arbeitsprozess mitzudokumentieren.
36 Kinderhände und -füße auf einem einzigartig großen Tonfeld
An einem Tag durfte die dritte Klasse der VS Pischelsdorf an das Tonfeld. Beim Abdecken war das Erstaunen groß: so viel Ton auf einmal hatten die Kinder noch nie gesehen.
"Ja, wir haben 600kg Ton hierhergebracht! Und ihr dürft nun hier arbeiten."
Die anfängliche Scheu war schnell überwunden, die Kinder gruppierten sich um das Feld und fingen an, den Rand zu bearbeiten. Bald war der Platz zu wenig, und auf meine Anregung hin, dass man die Schuhe ausziehen und auch in die Mitte könne, war der Bann vollends gebrochen. Über eine Stunde lang werkten die Kinder in höchster Konzentration und auf alles andere vergessend. Das Resultat konnte sich sehen lassen und das Feedback der Kinder und Erwachsenen war wunderbar. Eine Bereicherung für alle Beteiligten!
Fotos:Strassegger
Andrea Sadjak